Home News & ReportsAfrika & DiasporaUmuahia am Scheideweg: Der letzte Hüter des politischen Gewissens der Igbo

Umuahia am Scheideweg: Der letzte Hüter des politischen Gewissens der Igbo

by Chris Ezeh

Von Dr. Vitus Ozoke | Redaktionelle Fassung für EuroAfrica News Magazin (Deutsch)

Als die Nachricht bekannt wurde, dass Enugus Gouverneur Peter Mbah zur regierenden Partei All Progressives Congress (APC) übergetreten war, ging ein tiefer Seufzer durch den Südosten Nigerias. Enugu – die Kohlenstadt, das Herz des politischen Gedächtnisses der Igbo und einst stolze Hauptstadt der Ostregion – war erneut gefallen. Diesmal fiel die Stadt nicht unter dem Donner von Kanonen oder im Rauch des Krieges, sondern durch die stille Artillerie der Politik: Verlockung, Ehrgeiz und die unaufhaltsame Macht der Bequemlichkeit. Es fühlte sich an, als würde die Geschichte aus unruhigem Schlaf erwachen. Für viele war es ein beklemmendes Déjà-vu – die Erinnerung daran, dass der Fall Enugus im Jahr 1967 den Beginn des Rückzugs von Biafra markierte. Sein heutiger Fall scheint eine andere Art der Kapitulation zu signalisieren – blutlos, aber ebenso schmerzhaft. Und so, wie schon 1967, richtet sich der Blick nun wieder nach Osten – auf Umuahia, die stille Hügelstadt, die einst die Last eines sterbenden Traums trug.

Die Stadt, die standhielt, als alles andere fiel

Für jene, die sich erinnern, war Umuahia mehr als nur ein Punkt auf der Landkarte des Krieges. Zwischen 1967 und 1969 war sie die zweite Hauptstadt Biafras – ein Zufluchtsort, in dem ein geschundener Traum weiteratmete. Der berühmte Ojukwu-Bunker, tief in die rote Erde gegraben, wurde zugleich Symbol und Schutzraum – der Ort, an dem Strategie und Glaube aufeinandertrafen und der Geist eines belagerten Volkes sich weigerte, aufzugeben.  Als Enugu fiel, stand Umuahia.  Doch als Umuahia fiel, starb Biafra.
Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Und heute klingen diese Reime unheimlich vertraut. Mit dem Übertritt von Peter Mbah steht nun Gouverneur Alex Otti aus Abia vielleicht als letzter Hüter der moralischen und politischen Autonomie des Südostens da – als einsamer Wächter einer Region, die sich zunehmend der föderalen Vereinnahmung beugt. Der Gouverneur von Anambra, Chukwuma Soludo, einst Symbol intellektueller Hoffnung, hat längst den Weg des Kompromisses gewählt. Damit bleibt Otti als letzter Prüfstein – der letzte Test, ob der Südosten noch für Prinzipien einstehen kann in einer Zeit der Opportunität.

Der neue Krieg: Nicht mit Waffen, sondern mit Vorteilen

Der heutige Eroberungszug ist subtil. Die neuen „Invasoren“ tragen keine Uniformen mehr – sondern teure Agbadas.
Sie kommen nicht mit Bajonetten, sondern mit Budgets. Nicht mit Bomben, sondern mit Begünstigungen.

Politische Kapitulation zeigt sich heute im Gewand der „nationalen Integration“ und der vermeintlichen Zugehörigkeit. Die neue Artillerie besteht aus Verträgen, Posten und Verlockungen, die den Charakter aushöhlen. Der neue Krieg wird nicht auf Karten geführt, sondern in Herzen, in denen das Gewissen langsam ermüdet.

1967 fiel Enugu unter Kanonenfeuer.
2025 fällt es unter Berechnung und Bequemlichkeit.

Und wieder lastet die Hoffnung auf Umuahia – jener symbolträchtigen Festung des Igbo-Stolzes, die nun nicht gegen Panzer, sondern gegen Versuchung standhalten muss.


Die Geister der Vergangenheit flüstern wieder

Die Parallele ist erschütternd. Im April 1969 drangen nigerianische Truppen kurzzeitig in Umuahia ein – doch die Biafraner eroberten die Stadt zurück. Monate später pulsierte sie vor Widerstandskraft. Nicht militärische Stärke, sondern Wille hielt sie aufrecht. Doch im Dezember desselben Jahres, erschöpft und umzingelt, fiel Umuahia endgültig. Ihr Fall bedeutete nicht nur den militärischen, sondern auch den seelischen Zusammenbruch – das Ende des Traums von Selbstbestimmung und Würde. Heute droht ein anderer Fall – kein territorialer, sondern ein moralischer.  Alex Otti steht dort, wo einst General Ojukwu stand – nicht im Kugelhagel, sondern im Sog der Verlockung. Sein Schlachtfeld ist das Gewissen. Um ihn herum stehen die Kräfte der Gleichschaltung: eine föderale Ordnung, die keine Abweichung duldet, eine regionale Elite, gelähmt von Gier, und ein Volk, müde von wiederholtem Verrat. Die Frage ist nicht nur, ob Otti standhält, sondern ob er sein Volk daran erinnern kann, dass wahre Führung nicht in Bequemlichkeit liegt – und dass verlorene Integrität kaum wiederzufinden ist.

Die Wiederkehr einer Tragödie

Das Muster ist dasselbe geblieben. In den 1960er-Jahren wurden Igbo-Männer und -Frauen im Norden massakriert, während die Welt schwieg.  Heute werden ihre Häuser und Geschäfte in Lagos unter dem Vorwand der „Stadterneuerung“ zerstört. Die Bühne hat sich verändert, das Drehbuch nicht.  Damals wie heute kam der Untergang nicht allein durch äußere Feinde, sondern durch Verrat von innen – durch Mitläufer, die Würde gegen Zugang eintauschten, Loyalität gegen Karriere.  Was die Bomben 1967 nicht schafften, könnte 2025 durch politische Opportunisten erreicht werden.  Wenn der Fall Enugus ein Déjà-vu war, könnte Umuahias Fall zur Prophezeiung werden.

Die letzte Grenze

Wenn Otti standhält, wird Umuahia vielleicht wieder als die Stadt in Erinnerung bleiben, die sich weigerte zu knien – als das letzte Licht der Würde in einer dunkler werdenden Zeit. Wenn er fällt, wird der Untergang nicht mit Explosionen, sondern mit Applaus enden; vielleicht ist das die gefährlichste Art von Niederlage – jene, die sich wie ein Sieg anfühlt.  Der Fall Enugus steht bereits als Symbol für die moralische Erschöpfung eines Volkes; der mögliche Fall Umuahias würde ihre Kapitulation vor dem Vergessen besiegeln. Und wenn das geschieht, werden die Trommeln der Geschichte nicht trotzig schlagen – sie werden verstummen.

Die Glut lebt noch

Und doch – ein schwaches Glimmen bleibt. Der unbeugsame Geist der Igbo, der sich nie völlig auslöschen lässt. Der Geist, der einst Bunker in die Erde grub und sie Hoffnung nannte, glüht noch immer – in Umuahias Herz. Noch brennt er in Alex Ottis vorsichtiger Standhaftigkeit, in seinem Versuch, in einer unvernünftigen Zeit vernünftig zu regieren. Er steht an der schmalen Grenze zwischen Kompromiss und Überzeugung, zwischen Verführung und Verantwortung. Ob er diese Flamme bewahrt oder sie in den Winden der Zweckmäßigkeit verlöschen lässt – das wird die Geschichte entscheiden.
Doch die Zeit drängt. Die Kräfte der Vereinnahmung, die mit dem Lächeln der „Integration“ einhergehen, stehen bereits vor den Toren.

Und wieder steht Umuahiaumzingelt. Wenn es standhält, wird es als Stadt der Würde in Erinnerung bleiben.
Wenn es fällt, wird es nicht der letzte Widerstand sein, sondern der letzte Tanz – ein langsamer, trauriger Tanz eines Volkes, das nicht durch Gewalt, sondern durch Vergessen besiegt wurde.

Am Ende ist Alex Otti vielleicht nicht nur der letzte Mann, der steht. Er ist der letzte Spiegel – der zeigt, ob die Igbo noch wissen, wer sie sind.


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